OLG München: Keine Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG bei dinglichem Arrest im Wege der Rückgewinnungshilfe (4 Ws 074/13)

ABGELEHNTMit Beschluss vom 30.07.2013 (Az. 4 Ws 074/13) hat sich nun auch das OLG Mün­chen erst­mals aus­drück­lich zu der Fra­ge posi­tio­niert, ob ein Ver­tei­di­ger, der sei­nen Man­dan­ten im Rah­men eines straf­pro­zes­sua­len Arres­tes zur Rück­ge­win­nungs­hil­fe ver­tre­ten hat, einen gebüh­ren­recht­li­chen Anspruch nach Nr. 4142 VV RVG erwirbt. Dies ver­neint das OLG Mün­chen mit der Begrün­dung, der Gebüh­ren­tat­be­stand nach Nr. 4142 VV RVG bezie­he sich aus­drück­lich auf Tätig­kei­ten im Rah­men von Maß­nah­men, die dar­auf gerich­tet sei­en, dem Betrof­fe­nen den Gegen­stand end­gül­tig zu ent­zie­hen und dadurch einen end­gül­ti­gen Ver­mö­gens­ver­lust zu bewir­ken. Der Arrest zur Rück­ge­win­nungs­hil­fe die­ne jedoch ledig­lich der vor­läu­fi­gen Siche­rung bür­ger­recht­li­cher Scha­dens­er­satz­an­sprü­che und fal­le somit nicht unter die in Nr. 4142 VV RVG auf­ge­führ­ten Tätig­kei­ten.

Gleich­zei­tig nutzt das OLG Mün­chen die Gele­gen­heit, sich klar­stel­lend zu sei­nem Beschluss vom 16.08.2010 (Az. 4 Ws 114/10) zu äußern. Die­ser Beschluss war bis­her von Befür­wor­tern als Argu­ment für einen Gebüh­ren­an­spruch nach Nr. 4142 VV RVG bei Tätig­kei­ten im Rah­men eines straf­pro­zes­sua­len Arres­tes zur Rück­ge­win­nungs­hil­fe her­an­ge­zo­gen wor­den (so bei­spiels­wei­se OLG Stutt­gart, Beschluss vom 22.04.2014 — Az. 1 Ws 212/13).

Miss­lich ist die Ent­schei­dung des OLG Mün­chen ins­be­son­de­re für Ver­tei­di­ger, die in umfang­rei­chen Wirt­schafts­straf­ver­fah­ren als Pflicht­ver­tei­di­ger tätig sind. Bei der­ar­ti­gen Ver­fah­ren sind im Rah­men eines sol­chen Arres­tes oft sehr umfang­rei­che Leis­tun­gen zu erbrin­gen, die neben der Ver­tei­di­gung gegen den eigent­li­chen Tat­vor­wurf einen wei­te­ren nicht uner­heb­li­chen Teil der Tätig­keit des Straf­ver­tei­di­gers aus­ma­chen. Aller­dings ist der Umstand, dass die­se Tätig­kei­ten nicht geson­dert ver­gü­tet wer­den, dann jedoch gege­be­nen­falls bei der Bemes­sung einer bean­trag­ten Pausch­ge­bühr maß­geb­lich zu berück­sich­ti­gen (vgl. OLG Karls­ru­he, Beschluss vom 09.12.2014 – Az. 2 AR 32/14).

Nach­ste­hend fin­den Sie die Ent­schei­dung des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen im Voll­text:

OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

 

Akten­zei­chen: 4 Ws 074/13 (K)
12 Ws GStA 881/13 Gene­ral­staats­an­walt­schaft Mün­chen
10 Qs 1002/13 Land­ge­richt Augs­burg
501 Js 132220/11 StA Augs­burg

BESCHLUSS:

Der 4. Straf­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen
hat am 30. Juli 2013
in dem Ermitt­lungs­ver­fah­ren gegen

wegen ban­den- und gewerbs­mä­ßi­ger Umsatz­steu­er­hin­ter­zie­hung

Ver­fah­rens­be­voll­mäch­tig­ter:
Rechts­an­walt …

hier: Beschwer­de der Staats­kas­se vom 15. Mai 2013 gegen den Beschluss des Land­ge­richts Augs­burg vom 26. März 2013

beschlos­sen:

I. Der Beschluss des Land­ge­richts Augs­burg vom 26. März 2013 wird auf­ge­ho­ben.

II. Der Antrag auf Fest­set­zung des für die Gebühr nach Zif­fer RVG VV 4142 maß­geb­li­chen Gegen­stands­wer­tes für das Beschwer­de­ver­fah­ren wird als unzu­läs­sig zurück­ge­wie­sen.

III. Das Beschwer­de­ver­fah­ren ist gebüh­ren­frei. Kos­ten wer­den nicht erstat­tet.

 

Grün­de:

I.

Das Amts­ge­richt Augs­burg (Akten­zei­chen: 61 Gs 3238/12) ord­ne­te mit Beschluss vom 25.05.2012 gemäß §§ 111b Abs. 2 und Abs. 5, 111d, 111e Abs. 1 StPO i. V. m. §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a StGB sowie §§ 369 Abs. 1 Nr. 1, 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 und 5 AO und § 129 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StGB zur Siche­rung der dem Ver­letz­ten aus den Straf­ta­ten erwach­sen­den Ansprü­che für den Frei­staat Bay­ern, ver­tre­ten durch die Staats­an­walt­schaft Augs­burg, den ding­li­chen Arrest in Höhe von 4.767.504,24 € in das Ver­mö­gen der Beschul­dig­ten an.

Auf Beschwer­de der Arrest­schuld­ne­rin vom 29.6.2012, die durch Rechts­an­walt … anwalt­lich ver­tre­ten ist (Voll­macht vom 15.06.2012, Blatt 110 d.A.), hob die 10. Straf­kam­mer des Land­ge­richts Augs­burg mit Beschluss vom 27.07.2012 (Akten­zei­chen: 10 Qs 329/12) den Arrest­be­schluss vom 25.05.2012 auf und erleg­te der Staats­kas­se auf, die Kos­ten des Beschwer­de­ver­fah­rens und die inso­weit ent­stan­de­nen not­wen­di­gen Aus­la­gen der Beschwer­de­füh­re­rin zu tra­gen.

Der Ver­tei­di­ger der Beschul­dig­ten bean­trag­te mit Schrift­satz vom 18.12.2012 unter ande­rem die zwei­ma­li­ge Fest­set­zung der Ver­fah­rens­ge­bühr 4142 RVG VV unter Ansatz eines Streit­wer­tes in Höhe von jeweils 1.589.168,08 €. Der Bezirks­re­vi­sor nahm hier­zu mit Schrei­ben vom 21.02.2013 Stel­lung und bean­trag­te, die­se Gebühr nicht fest­zu­set­zen. Er führ­te aus, dass die hier­für not­wen­di­ge Wert­fest­set­zung feh­le. Wegen der Nicht­an­wend­bar­keit die­ser Gebüh­ren­be­stim­mung auf den vor­lie­gen­den Fall des ding­li­chen Arres­tes wäre ein ent­spre­chen­der Antrag im Übri­gen unzu­läs­sig. Das Amts­ge­richt Augs­burg lehn­te die Fest­set­zung der Gebühr 4142 RVG VV mit Beschluss vom 04.03.2013 ab. Die­ser Beschluss wur­de dem Ver­tei­di­ger am 07.03.2013 zuge­stellt.

Die (frü­he­re) Arrest­schuld­ne­rin leg­te mit Schrei­ben ihres anwalt­li­chen Ver­tre­ters vom 13.03.2013 sofor­ti­ge Beschwer­de gegen die­sen Beschluss des Amts­ge­richts Augs­burg ein und bean­trag­te dar­über hin­aus den Streit­wert für das Beschwer­de­ver­fah­ren auf 1.589.168,08 € fest­zu­set­zen. Mit Beschluss der 10. Straf­kam­mer des Land­ge­richts Augs­burg vom 26.03.2013 wur­de der Streit­wert für das Beschwer­de­ver­fah­ren antrags­ge­mäß fest­ge­setzt (Akten­zei­chen: 10 Qs 1002/13).

Die Staats­kas­se wur­de zu dem Fest­set­zungs­an­trag nicht gehört. Die Zustel­lung des Beschlus­ses vom 26.03.2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter an die Staats­kas­se wur­de zwar ange­ord­net, aber tat­säch­lich nicht aus­ge­führt. Der Beschluss wur­de dem Bezirks­re­vi­sor ledig­lich form­los ohne Akten zuge­lei­tet.

Mit Schrift­satz vom 30.04.2013 bean­trag­te der anwalt­li­che Ver­tre­ter der (frü­he­ren) Arrest­schuld­ne­rin die zwei­ma­li­ge Fest­set­zung der Gebühr nach Zif­fer 4142 RVG VV auf der Grund­la­ge der Fest­set­zung des Streit­wer­tes durch das Land­ge­richt mit Beschluss vom 26.03.2013 in Höhe von zwei­fach 6296 €.

Mit Schrift­satz vom 15.05.2013 leg­te die Staats­kas­se durch den Bezirks­re­vi­sor Beschwer­de gegen den Beschluss der Straf­kam­mer vom 26.03.2013 ein mit der Begrün­dung, die Wert­fest­set­zung sei unzu­läs­sig, da die bean­trag­te Gebühr im anhän­gi­gen Ermitt­lungs-/Straf­ver­fah­ren nicht ange­fal­len sei. Die Gebühr sei in den Fäl­len des Arres­tes zum Zwe­cke der Rück­ge­win­nungs­hil­fe nicht anwend­bar. Die Straf­kam­mer half der Beschwer­de nicht ab.

Der (frü­he­ren) Arrest­schuld­ne­rin wur­de Gele­gen­heit zur Stel­lung­nah­me zur Beschwer­de der Staats­kas­se gewährt. Sie nahm durch anwalt­li­chen Schrift­satz vom 23. Juli 2013 Stel­lung.

 

II.

1.) Die Beschwer­de der Staats­kas­se ist zuläs­sig.

Die Staats­kas­se ist nach dem Beschluss der Straf­kam­mer vom 26.03.2013 erstat­tungs­pflich­ti­ger Geg­ner der Antrag­stel­le­rin und des­halb wie sie im Sin­ne des § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG antrags­be­rech­tigt Aus die­sem Antrags­recht lei­tet sich ohne wei­te­res das Beschwer­de­recht der Staats­kas­se nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG ab. Der Beschwer­de­wert von 200 € (§ 33 Abs. 3 Satz 1, letz­ter Halb­satz RVG) ist erreicht.

Die Beschwer­de nach § 33 Abs. 3 RVG ist ähn­lich der sofor­ti­gen Beschwer­de aus­ge­stal­tet und nach § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG nur zuläs­sig, wenn sie inner­halb von zwei Wochen nach Zustel­lung der Ent­schei­dung ein­ge­legt wird: Da durch die Bekannt­ma­chung der Ent­schei­dung eine Frist in Lauf gesetzt wur­de, bedurf­te die Bekannt­ma­chung an den Bezirks­re­vi­sor der Zustel­lung gemäß § 35 Abs. 2 StPO. Zwar wur­de die Zustel­lung der beschwer­de­ge­gen­ständ­li­chen Gegen­stands­wert­fest­set­zung vom 26.03.2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter ange­ord­net, die Zustel­lung an die Staats­kas­se wur­de jedoch von der Geschäfts­stel­le (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) ent­ge­gen der Anord­nung nicht bewirkt, so dass die Frist des § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG nicht in Lauf gesetzt wur­de. Der Vor­sit­zen­de Rich­ter hat­te die förm­li­che Zustel­lung an den Bezirks­re­vi­sor gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 StPO ver­fügt. Von der Geschäfts­stel­le wur­de die­se Ver­fü­gung jedoch nicht aus­ge­führt, son­dern ledig­lich form­los ohne Zustell­nach­weis dem Bezirks­re­vi­sor über­mit­telt.

2.) Die Beschwer­de erweist sich auch als begrün­det.

Der Antrag auf Fest­set­zung des für die Gebühr nach Zif­fer 4142 RVG VV maß­geb­li­chen Gegen­stands­wer­tes ist unzu­läs­sig, da eine Gebühr nach die­ser Zif­fer für die Tätig­keit des Ver­tei­di­gers zur Abwen­dung des ding­li­chen Arrests nicht ange­fal­len ist.

Die Ver­fah­rens­ge­bühr 4142 RVG W setzt eine Tätig­keit des Ver­tei­di­gers bei der Ein­zie­hung und ver­wand­ter Maß­nah­men vor­aus, die hier nicht vor­liegt. Die Gebühr ent­steht nach dem Wort­laut der Vor­schrift für eine Tätig­keit für den Beschul­dig­ten, die sich auf die Ein­zie­hung, die­ser gleich­ste­hen­de Rechts­fol­gen (§ 442 StPO), die Abfüh­rung des Mehr­erlö­ses oder auf eine die­sen Zwe­cken die­nen­de Beschlag­nah­me bezieht. Die Maß­nah­me muss somit dar­auf gerich­tet sein, dem Betrof­fe­nen den Gegen­stand end­gül­tig zu ent­zie­hen und dadurch einen end­gül­ti­gen Ver­mö­gens­ver­lust zu bewir­ken (Bur­hoff in Gerold/Schmidt RVG 18. Aufl. VV 4142 Rdn. 8; Bur­hoff RVG 2. Aufl. 4142 Rdn. 7; LG Saar­brü­cken, Beschluss vom 10.01.2012, AZ.: 2 Qs 18/11; KG, Beschluss vom 15.04.2008, AZ.: 1 Ws 309–310/07). Der vor­lie­gen­de Arrest zur Rück­ge­win­nungs­hil­fe dient der vor­läu­fi­gen Siche­rung bür­ger­recht­li­cher Scha­dens­er­satz­an­sprü­che und fällt somit nicht unter die in Nr. 4142 auf­ge­führ­ten Tätig­kei­ten.

Der Senat nimmt erst­mals Stel­lung zu den Vor­aus­set­zun­gen des Anfalls der Gebühr 4142 RVG VV. In der Ent­schei­dung vom 16.08.2010 (AZ.: 4 Ws 114/10) hat der Senat nicht dazu Stel­lung genom­men, ob eine Gebühr nach Zif­fer 4142 RVG VV im Arrest­ver­fah­ren anfällt, da die Beschwer­de der Staats­kas­se beschränkt war auf die Fra­ge der Höhe des Gegen­stands­wer­tes.

Mit­hin war der Beschluss der 10. Straf­kam­mer des Land­ge­richts Augs­burg vom 26.03.2013 auf­zu­he­ben und der Antrag auf Fest­set­zung des für die Gebühr nach Zif­fer RVG VV 4142 maß­geb­li­chen Gegen­stands­wer­tes für das Beschwer­de­ver­fah­ren als unzu­läs­sig zurück­zu­wei­sen.

 

III.

Eine Kos­ten­ent­schei­dung ist nicht ver­an­lasst (§ 33 Abs. 9 Satz 2 letz­ter Halb­satz RVG).

Unter­schrif­ten

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