Organisierte Kriminalität — es muss nicht immer etwas Böses sein

Organsierte KriminalitätBeim Stich­wort “Orga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät” denkt man meist an Rausch­gift­han­del, Pro­sti­tu­ti­on oder Schutz­geld­erpres­sung. Aber organ­si­sier­te Kri­mi­na­li­tät kann manch­mal auch ganz etwas ande­res sein, als man es auf den ers­ten Blick ver­mu­tet. Der Blog­bei­trag des Kol­le­gen Zabo­row­ski aus Ber­lin über den erfolg­lo­sen Ver­such der Poli­zei ein Mobil­te­le­fon zu ent­sper­ren erin­ner­te mich an eine beschau­li­che JVA im nörd­li­chen Bay­ern. Hier­zu muss ich jedoch ein wenig aus­ho­len:

Ein JVA-Insas­se hat — so er es sich denn leis­ten kann — in den meis­ten Jus­tiz­voll­zugs­an­stal­ten die Mög­lich­keit, sich einen Fern­se­her in die Zel­le zu stel­len. Aller­dings kann er sich nicht jedes x‑beliebige Gerät aus­su­chen, son­dern muss sich an die ent­spre­chen­den Bestim­mun­gen sei­ner Haft­an­stalt hal­ten. Ins­be­son­de­re muss der Fern­se­her eine Rei­he von Sicher­heits­auf­la­gen erfül­len. Hier war es so, dass Gefan­ge­ne nur Fern­se­her über einen bestimm­ten von der JVA aut­ho­ri­sier­ten Händ­ler bezie­hen durf­ten. Die­ser trug dafür Sor­ge, dass die Gerä­te ver­plombt und bestimm­te Funk­tio­nen (z. B. Video­text) deak­ti­viert waren. Im Gegen­zug war er so freund­lich und hat­te bereits den Groß­teil der in der JVA emp­fang­ba­ren Sen­der vor­pro­gram­miert. Soweit nichts außer­ge­wöhn­li­ches — wenn die Gerä­te nur nicht über einen solch unsäg­li­chen Hotel­mo­dus ver­fügt hät­ten. Bei Fern­se­hern mit Hotel­mo­dus sind bestimm­te Funk­tio­nen gesperrt. Zum Bei­spiel kann die Sen­der­rei­hen­fol­ge nicht ver­än­dert wer­den und auch die Laut­stär­ke ist meist auf eine bestimm­te Höhe begrenzt.

Besag­ter Hotel­mo­dus führ­te schnell zu Frust in der JVA, da man­che Sen­der nicht im Gerät ein­ge­spei­chert waren und sich auch nie­mand die Mühe gemacht hat­te, irgend­ei­ne Ord­nung in die Pro­gram­me zu brin­gen. Auch Inter­ven­ti­ons­ver­su­che bei der JVA-Lei­tung ver­hal­fen nicht zum Erfolg. Es gab die klas­si­chen Ant­wor­ten wie “Da könn­te ja jeder kom­men” oder “Für tech­ni­sche Fra­gen sind wir nicht zustän­dig”. Dies war der Augen­blick, in dem sich die geball­te Kri­mi­na­li­tät orga­ni­sier­te. Das Feind­bild: ein vier­stel­li­ger PIN-Code, der es ver­hin­der­te, den Hotel­mo­dus zu deak­ti­vie­ren.

Einer der Inhaf­tier­ten, der über die ent­spre­chen­den mathe­ma­ti­schen Fähig­kei­ten ver­füg­te, ver­teil­te die Auf­ga­ben: jedem Gefan­ge­nen im Trakt wur­de kurz vor dem abend­li­chen Ein­schluss ein Zif­fern­block zuge­teilt. Um mög­lichst effek­tiv vor­zu­ge­hen, wur­de zusätz­lich eine Son­der­ein­heit ein­ge­setzt, die alle in Betracht kom­men­den ein­fäl­ti­gen Zah­len­kom­bi­na­tio­nen wie bei­spiels­wei­se 3333 oder 1234 zu pro­bie­ren hat­te. So mach­ten sich die schwe­ren Jungs an die nächt­li­che Arbeit und pro­bier­ten alle der ihnen zuge­teil­ten Kom­bi­na­ti­ons­mög­lich­kei­ten durch. Wer sei­nen Zif­fern­block erfolg­los durch­pro­biert hat­te, mach­te fern­münd­lich per Fens­ter­ruf Mel­dung und erhielt eine neue Zah­len­rei­he zuge­teilt. Eini­ge Stun­den spä­ter schall­te der Freu­den­ju­bel über den Hof. Der Zah­len­code war geknackt. End­lich konn­ten die Gefan­ge­nen die Fern­seh­sen­der pro­gram­mie­ren, die sie sehen woll­ten und konn­ten Rei­hen­fol­ge belie­big anpas­sen.

Wie man sieht, kann sich Kri­mi­na­li­tät auch ohne all­zu böse Absicht orga­ni­sie­ren. Die bes­se­re Bezeich­nung wäre hier wohl “Schwar­min­tel­li­genz”. Wenn die­ses Bei­spiel Schu­le macht, dau­ert es sicher­lich nicht mehr lan­ge und der Staat beschäf­tigt gan­ze Code-Kna­cker-Abtei­lun­gen in den Jus­tiz­voll­zugs­an­stal­ten. Näm­lich immer dann, wenn sich die Poli­zei am Zah­len­code eines Han­dys die Zäh­ne aus­beißt. Bei Erfolg winkt ja viel­leicht Straf­ra­batt.

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