Polizeiliche Ermittlungstaktik: der Stich ins Wespennest

Das Abhö­ren von Tele­fo­nen und die ver­deck­te Obser­va­ti­on sind tak­ti­sche Mit­tel der Poli­zei, um Bewei­se gegen Ver­däch­ti­ge zu sam­meln, ohne dass die­se es bemer­ken. Gera­de im Bereich der orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät will die Poli­zei die Ermitt­lun­gen oft so lan­ge es irgend­wie geht, geheim hal­ten. Denn nur so gelingt es den Ermitt­lern oft erst, Hin­ter­män­ner oder ande­re unbe­kann­te Mit­tä­ter aus­fin­dig zu machen. Eine früh­zei­ti­ge Haus­durch­su­chung wür­de den Beschul­dig­ten hier nur unnö­tig vor­war­nen. Also war­tet man damit mög­lichst lan­ge. Bei klei­ne­rer und mitt­le­rer Kri­mi­na­li­tät dient eine Haus­durch­su­chung dann in der Regel tat­säch­lich ein­zig und allei­ne dazu, Beweis­ma­te­ri­al beim Beschul­dig­ten auf­zu­fin­den. Aller­dings kann hin­ter einer Haus­durch­su­chung auch einen ganz ande­re Tak­tik ste­cken: der Stich ins Wes­pen­nest.

Die Ermitt­lungs­be­hör­den wis­sen ganz genau: wer mor­gens in aller Frü­he mit der Ram­me urplötz­lich aus dem Schlaf geris­sen wird, steht noch eine Wei­le lang unter dem Ein­druck der Haus­durch­su­chung — auch wenn die Poli­zei schon lan­ge wie­der weg ist. Hier machen dann auch die pro­fes­sio­nells­ten Gano­ven mit­un­ter klei­ne Feh­ler, die sie spä­ter sprich­wört­lich den Kopf kos­ten kön­nen. Ins­be­son­de­re nei­gen vie­le Beschul­dig­te in einer sol­chen Situa­ti­on dazu, das Tele­fon in die Hand zu neh­men, um etwai­ge Kom­pli­zen zu war­nen oder sich mit ihnen zu ver­ab­re­den. Das weiß auch die Poli­zei, die nun gespannt im Obser­va­ti­ons­fahr­zeug vor dem Haus des Ver­däch­ti­gen war­tet bezie­hungs­wei­se in sei­ner Tele­fon­lei­tung hängt.

Es gibt jedoch auch Beschul­dig­te, die machen — ob schul­dig oder unschul­dig — intui­tiv das ein­zig Rich­ti­ge: sie kon­tak­tie­ren (wenn nicht schon direkt wäh­rend der Durch­su­chung) nach der Durch­su­chung sofort einen Straf­ver­tei­di­ger. Der bestellt den Man­dan­ten in die Kanz­lei, um in aller Ruhe unge­stört und unab­ge­hört mit die­sem zu spre­chen. Anschlie­ßend bean­tragt der Ver­tei­di­ger bei der Staats­an­walt­schaft Akten­ein­sicht. Dien­te die Haus­durch­su­chung tat­säch­lich der “Stich ins Wespennest”-Taktik, die den Beschul­dig­ten zu unüber­leg­ten Hand­lun­gen ver­lei­ten soll­te, dau­ert es oft beson­ders lan­ge, bis die Staats­an­walt­schaft dem Ver­tei­di­ger Akten­ein­sicht gewährt. Die Ermitt­lun­gen lau­fen ja im Hin­ter­grund noch wei­ter auf Hoch­tou­ren.

Doch irgend­wann liegt auch die längs­te vor sich hin gereif­te Ermitt­lungs­ak­te auf dem Tisch des Ver­tei­di­gers, der die Akten­son­der­bän­de “Obser­va­ti­on” und “TKÜ” durch­blät­tert und sich beim Lesen des fol­gen­den Abschnitts im Obser­va­ti­ons­be­richt vom Tag der Durch­su­chung schmun­zelnd denkt: “Und wie­der mal den rich­ti­gen Rie­cher gehabt”.

Ich erken­ne poli­zei­li­ches Ermitt­lungs­ge­schick neid­los an und freue mich immer dar­über, wenn ich in einer Ermitt­lungs­ak­te mal wie­der von einem beson­ders krea­ti­ven Ermitt­lungs­trick lese (natür­lich nur, sofern die­ser recht­lich zuläs­sig ist). Aller­dings freue ich mich aber eben­so dar­über, wenn sich mei­ne Tätig­keit als Ver­tei­di­ger bereits zu einem frü­hen Zeit­punkt für den Man­dan­ten bezahlt gemacht hat — ob er schul­dig oder unschul­dig ist.

Abschlie­ßend noch kurz etwas zur recht­li­chen Lage: natür­lich darf die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen dem Beschul­dig­ten und sei­nem Ver­tei­di­ger nicht von der Poli­zei belauscht wer­den. Wird die­se Kom­mu­ni­ka­ti­on jedoch zufäl­lig im Rah­men einer Abhör­maß­nah­me auf­ge­zeich­net, sind die­se Auf­zeich­nun­gen selbst­ver­ständ­lich unver­züg­lich von der Poli­zei zu löschen. Die mit­ge­hör­ten Gesprächs­in­hal­te unter­lie­gen einem Ver­wer­tungs­ver­bot. Den­noch darf man sich nichts vor­ma­chen: erge­ben sich für die Poli­zei aus dem Tele­fo­nat des Beschul­dig­ten mit dem Ver­tei­di­ger neue Ermitt­lungs­an­sät­ze, wird sie die­sen nach­ge­hen. Gera­de in Fäl­len, in denen für den Beschul­dig­ten in Anbe­tracht des gegen ihn erho­be­nen Tat­vor­wur­fes eini­ges auf der Uhr steht, gilt daher die Prä­mis­se, dass auch mit dem Ver­tei­di­ger nicht am Tele­fon unnö­tig viel gequatscht wird. Der­ar­ti­ge Gesprä­che soll­te man in aller Ruhe in der Kanz­lei füh­ren.

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