Die Zeit zwischen den Jahren ist für viele Menschen eine gute Gelegenheit, den Alltag ein wenig geruhsamer anzugehen. So auch wir Rechtsanwälte. Viele nehmen sich zwischen Weihnachten und Neujahr frei. Andere, zu denen auch ich gehöre, nutzen diese doch etwas ruhigere Zeit, um im Büro ganz ohne Stress noch das ein oder andere vor Jahresende zu erledigen (mal abgesehen von manchem Zivilrechtler, der noch schnell vor Jahreswechsel hektisch verjährungshemmende Maßnahmen ergreifen muss). Doch diese angenehme Arbeitsatmosphäre wurde heute jäh unterbrochen, als die aufgelöste Ehefrau eines Mandanten anrief, der vor einiger Zeit im europäischen Ausland zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war.
Die Frau bat um dringende Hilfe. Man habe ihr heute telefonisch mitgeteilt, dass ihr Mann bald hingerichtet werden solle. Das offizielle Exekutionsverfahren sei bereits eingeleitet worden. Eine kurze Überprüfung der Telefonnummer, von der aus sie angerufen worden war, ergab, dass die Nummer tatsächlich zu dem Gericht gehörte, das ihren Mann seinerzeit verurteilt hatte. Sollte dem Mandanten also tatsächlich die Hinrichtung drohen? Die Dame ließ sich jedenfalls nicht beruhigen, obwohl ihr Mann ja nicht im Bundesland Hessen einsitzt, wo die Todesstrafe noch immer in Artikel 21 Abs. 1 S. 2 der Hessischen Verfassung verankert ist, sondern in einem europäischen Land, das die Todesstrafe bereits vor langer Zeit aus seinen Gesetzen verbannt hat.
Der ein oder andere Strafverteidiger ahnt sicherlich schon, was es in Wirklichkeit mit der drohenden „Exekution“ auf sich hat. Der Mandant wurde im Ausland zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt. Da er deutscher Staatsbürger ist, haben wir gemeinsam mit einer Kanzlei vor Ort das Verfahren für Überstellung nach Deutschland in Gang gesetzt, damit er seine Strafe hier in Deutschland absitzen kann. Man muss diesbezüglich wissen, dass es sich hierbei um ein sehr bürokratisches Verfahren handelt, das mitunter recht lange dauert, da die Justizbehörden zweier Länder daran beteiligt sind. Unter anderem ist es notwendig, dass das ausländische Urteil von einem deutschen Gericht zum Zwecke der Vollstreckung nach deutschem Recht übernommen wird. Das förmliche Verfahren, in dem ein deutsches Gericht das ausländische Urteil prüft und nach deutschem Recht für vollstreckbar erklärt, hat einen besonderen Namen. Man nennt dieses Verfahren Exequaturverfahren.
Das ausländische Gericht hatte der Ehefrau des Mandanten am Telefon also gerade nicht mitgeteilt, dass ihr Mann exekutiert werden sollte, sondern lediglich, dass zwischenzeitlich das Exequaturverfahren eingeleitet worden war. Wer nun etwas falsch gesagt oder falsch verstanden hat, ließ sich nicht mehr aufkläre. Entsprechend groß war jedenfalls die Freude der Dame, dass alles nur ein phonetisches Missverständnis gewesen ist und sie vielmehr mit der Überstellung Ihres Ehemannes nach Deutschland rechnen kann. Sie war glücklich und ich konnte wieder in den gemütlichen Zwischen-den-Jahren-Modus zurückkehren.
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